SOS Kolumbien
Foto: Lorena Millan

Es ist kurz nach 17 Uhr, wer gerade zufällig aus dem Stadtzentrum kommt oder am Wilhelm-Leuschner-Platz umsteigt, sieht eine Menschenmenge in auffällig bunten Farben, hört Getrommel und einige spanische Sprechgesänge. Eine Demonstration, doch wofür?
Cyndi Bernal kommt aus Bogotá und hat die Kundgebung angemeldet. Seit einer Woche befindet sich ihr Heimatland Kolumbien in einer angespannten politischen Lage. Bei Demonstrationen starben mindestens 21 Menschen, andere Quellen berichten von 31 Toten. Doch damit nicht genug: 10 Frauen sollen sexuellen Missbrauch von Seiten der Polizei erfahren haben, hunderte Menschen wurden teils schwer verletzt. Die Regierung hält den Einsatz für angemessen um gegen linken Terrorismus und Plünderungen während der Unruhen vorzugehen. Dass die Opfer junge und friedliche Demonstrant:innen wie der 17-jährige Nicolas Guerrero sind, bestreitet sie.
Deshalb haben sich gestern 150 Menschen Cyndis Aufruf angeschlossen, klären die Umstehenden über die Lage auf und stimmen Gesänge an. Vor allem möchte man die Botschaft nach Kolumbien übermitteln: ihr seid nicht alleine – wir sehen euch!
In den Medien wird nicht berichtet. Wir wollen eine internationale Aufmerksamkeit: die Polizei ermordet die Kolumbianer!
Cyndi Bernal
Der Hintergrund
Ursprünglich begann der „paro nacional“, also der landesweite Generalstreik am 28. April, weil Präsident Ivan Duque eine Steuerreform verkündet hatte, die laut Expert:innen vor allem die Mittelschicht und die Ärmsten im Land betroffen hätte. Dabei ist die Ungleichheit im Land seit Jahrzehnten konstant groß, die neoliberale Politik hat den Anstieg der Armut auf 42% nicht verhindert. Die Menschen in Kolumbien sind entsprechend wütend, vor allem, weil sie den Präsidenten der rechtskonservativen Regierung für eine Marionette des mächtigen Ex-Präsidenten Uribe halten. Seit Jahren würden die mächtigen Eliten die Probleme des Landes ignorieren. Das Ermorden und Verschwinden politischer Aktivist:innen, Gewalt auf dem Land wegen Drogenhandel und Paramilitärs, fehlender Schutz der Umwelt, missachete Rechte der indigenen Gemeinden, Privatisierung des Gesundheits- und Bildungssystems: die Menschen haben genug. Angesichts dieses Unmuts nützt es nur wenig, dass die Steuerreform längst zurückgezogen wurde.

Umgedrehte Flagge als Zeichen des Notstands, Foto: Jan Arne Friedrich
Daher auch die Plakate und Gesänge in Leipzig: „Duque ciao“ soll den amtierenden Präsidenten vertreiben, „Leipzig #antiuribista“ bezieht sich auf seinen Mentor. Die Stimmung ist positiv, die Menschen eint die Liebe zu einem Land und einem Kontinent, der in Europa nur sehr wenig Aufmerksamkeit erfährt. In den Telegram Gruppen kursieren Videos von den Protestesten: Menschen werden von der Polizei gejagt und erschossen, Sonderkommandos dringen in private Wohnungen ein, bedrohen und zerstören. Ob die Videos echt sind, bleibt unklar, doch allen ist klar: die Regierung tritt Menschenrechte mit Füßen.
Unter #SOSKolumbien wurde um 17 Uhr zur #Demonstration am Wilhelm-Leuschner Platz aufgerufen. Etwa 150 Menschen möchten hier #Solidarität zeigen. Dort geht die Regierung seit Tagen brutal gegen den landesweiten Generalstreik vor, 31 Menschen starben bei den Protesten. pic.twitter.com/JmLZy6oFwx
— mephisto 97.6 (@mephisto976) May 5, 2021
Nicht alle der Demonstrierenden sind selbst aus Kolumbien, viele kommen aus anderen Ländern Lateinamerikas oder sind der Bewegung auf andere Art verbunden. Alle aber möchten ihre Solidarität bekunden:
Es passiert überall das gleiche in Lateinamerika. Es gibt Tote, es gibt Gewalt. Lateinamerika ist so oft ein Paradies, ein Reiseziel. Aber man muss beachten, dass es echte Schwierigkeiten gibt: die wollen wir sichtbar machen.
Demonstrierende aus Chile
Cyndi ist froh, dass so viele Menschen ihrem Aufruf gefolgt sind, auch in anderen deutschen Städten haben Menschen demonstriert. Sie hofft, dass die Regierung nicht weiter so brutal gegen die Bewegung vorgeht - sie fürchtet um ihre Familie. Währenddessen gehen die Menschen in den kolumbianischen Städten weiter auf die Straßen, vor allem junge Menschen. Das Symbol der Bewegung: die umgedrehte Flagge des Landes – ein Zeichen für eine Notfallsituation in der Seefahrt. Auch hier in Leipzig schwenken die Menschen die Flagge falsch herum.
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