Komm ins Auto, Weinen
Jaqueline Landwick

Wer gedacht hätte, dass der lang-verschobene-und-jetzt-doch-endlich-erschienene Bond-Film „No time to die“ die einzige Veröffentlichung dieses Herbstes mit einem durch drei Ziffern benummerten Protagonisten sein sollte, der hat, nun ja, falsch gedacht. Denn da ist auch noch das neue Mixtape „Heart Ego“ von Sunniva Lindgård, welches sie unter dem schnittigen Namen Sassy 009 veröffentlicht. Eine weitere Gemeinsamkeit von Geheimagent und norwegischer Sängerin: beide sind gerne in Sportwagen unterwegs. Allerdings braucht Sassy 009 nicht die altertümliche Eleganz eines Aston Martin, sondern gibt sich mit einem schnöden Audi in schönem Blau zufrieden. Auch die Laufzeit des vom Indie-Label Luft Recordings vertriebenen Mixtapes kommt mit 28 Minuten deutlich bescheidener daher als ein zweieinhalbstündiger Blockbuster. Gut nur, dass Sassy 009 auf den acht Tracks dennoch viel zu erzählen hat.
Geheimtipp aus dem Norden
Zunächst noch ein paar Fakten: Das auf Soundcloud gegründete Projekt Sassy 009 der Norwegerin Sunniva Lindgård, zwischenzeitlich als Trio unterwegs, überzeugte schon in den letzten Jahres mit EPs wie dem großartigen „KILL SASSY 009“ das fachkundige Publikum. Das Pop-Phänomen Clairo war sogar so angetan, dass sie sich für den Song „Lara“ einen gefühlvoll futuristischen Beat von Lindgård produzieren ließ. Das gemeinsame Feature ist der bisher erfolgreichste Titel von Sassy 009, doch dies kann sich schnell ändern, denn mit dem Mixtape „Heart Ego“, nach eigener Aussage ihrem ambitioniertesten Projekt, entlässt sie gleich eine ganze Lawine melancholische Hits in die Weiten der Welt.
Vroom Vroom
Das episch-atmosphärische Intro „Forever Seventeen“ erzeugt zunächst eine nostalgisch Nebelwand mit dystopischen Klängen, die dem Blade Runner Soundtrack entstammen könnten. Doch diese wird sogleich von „Blue Racecar“ rasant aufgewirbelt: der hochenergetische Drum’n‘Bass-future-Pop-Banger, der entfernt an die besten Grimes Tracks erinnert, erzählt von der befreienden Autofahrt (hallo, FDP) heraus aus einer vergangenen Beziehung. Der blaue Sportwagen wird hier zum metaphorischen Gefährt einer Reise zu einem frischen Neuanfang.
"I was such a fool for lovin' you with all my heart
Now they see me ride in a blue race car"
Sassy 009 auf Blue Racecar
It’s complicated
Mit weniger Benzin im Blut geht es auf dem Track „Mystery Boy“ weiter. Auf diesem besingt Sassy 009 über einem Soundbett eisig glänzender Synthie-Klänge das Gefühlschaos aus Sehnsucht und Frustration, das eine, vom Warten geprägte, sich anbahnende Liebschaft erzeugt.
“Hey, what's up? Hey, mystery boy
That's what I'll say when you do your call
But you wouldn't know,
I'm not a psycho, I'm just a little annoyed”
Sassy 009 auf Mystery Boy
Ambivalente Freundschaften mit romantischem Potential werden auf „It’s complicated“ ausgehandelt, passend zum Thema verschwimmen die Texte hier teils undeutlichen gemurmelt im Ungewissen. Mit den melodisch schönsten Momenten des Projekts sticht der Song auch musikalisch aus dem Mixtape-Korpus hervor. Der Streifzug durch Sassys Gefühlswelt endet schließlich mit „Ego Heart Ego“ doch noch happy. Happy können dann auch alle sein, welche diese Gefühlsreise als Zuhörende verfolgt haben, vermissen lässt das Mixtape wahrlich nichts.
Kommentieren