Die 20 besten Alben 2021
Collage: Bruno Richter

20. FINNEAS - Optimist
Optimist ist ein Album zwischen Reminiszenz, Weltschmerz und Lebensfreude. Die Melodien und Texte klingen bittersüß und zeigen Finneas in seinem Solodebut von seiner verletzlichen und selbstkritischen Seite. Von Elektro-Pop, rhythmischen Gitarrenbeats, Rockballaden bis hin zu einem Klavierstück ganz ohne Gesang ist Optimist musikalisch sehr vielfältig und beweist Finneas’ Fähigkeiten als Produzent und Song-Writer.
Chiara Santangelo
19. The Killers - Pressure Machine
Nur ein Jahr nach der Veröffentlichung ihres Albums "Imploding the Mirage" erschien 2021 der Longplayer "Pressure Machine" von The Killers. Inspiriert durch Musiker wie Bruce Springsteen, Johnny Cash und John Prine konzipierten sie ihr bereits siebtes Studioalbum als Sozialstudie im Folkrock-Gewand über die Stadt Nephi. In dieser Kleinstadt im Bundesstaat Utah verbrachte Brandon Flowers, der Sänger der Band, seine Kindheit, was ihn nachhaltig prägte. Nephi ist dabei als Synonym zu verstehen zu anderen US-amerikanischen Kleinstädten, in denen der schillernde American Dream schneller zu platzen scheint als eine Seifenblase. Genau um diese gescheiterten Schicksale geht es in "Pressure Machine": um die Opfer der Opioid- Epidemie, suizidgefährdete homosexuelle Jugendliche, Opfer häuslicher Gewalt. Viele der Songs werden durch O-Töne von Anwohnern eingeleitet. Zudem wurden die Songlyrics vor der Musik geschrieben und es wurde nur mit analogem Equipment aufgenommen. "Pressure Machine" unterscheidet sich stark vom gewohnten The- Killers-Bombast-Pop-Rock-Sound und es zeigt die Missstände der (amerikanischen)Gesellschaft auf.
Tobias Gadau
18. Teuterekordz - 70/30
Teuterekordz haben dieses Jahr mit diversen Releases auf sich aufmerksam gemacht. Das größte Projekt war dabei ihr Debut-Album „70/30“. Die Prenzlauer vereinen 70 % Hip Hop und 30 % Punk zu einem Gesamtprodukt, was mit prolligem Exzess und harten links-politischen Kommentaren das Lebensgefühl vieler junger Menschen, nicht nur aus Berlin, wiederspiegeln dürfte. Dabei schaffen es die sechs beteiligten Rapper, ihren Parts je einen ziemlich persönlichen Stempel aufzudrücken. Aber auch, wenn einer seinen thematischen Schwerpunkt mehr auf Politik, der andere mehr auf Graffiti und noch ein anderer eher auf Vodka-Mate sieht, erzeugt das zusammen ein herrliches Bild, was auf charmant-verballerte Weise zum Abgehen motiviert.
Bruno Richter
17. Joanna - Sérotonine
Sinnlich-poetisch ist die französische Künstlerin Joanna generell, aber besonders auf ihrem Debütalbum Sérotonine. Sinnlich, wenn ihre sanfte, hohe Stimme auf Widerspruch von dumpfen Bässen trifft. Poetisch in ihren Texten und ihrem Storytelling. Denn in Sérotonine teilt Joanna mit ihren Hörer:innen den, nach ihren Erfahrungen, klassischen Verlauf einer romantischen Beziehung in 14 Kapiteln. Vom Kennenlernen über die Verführung. Von der Eiversucht über den Überdruss zum Endlieben und dem letztendlichen wieder zurückfinden zu sich selbst. Musikalisch irgendwo zwischen Pop, Hip-Hop und R&B zu verorten, inszeniert sie sich als eine Art futuristische Goddess und zieht einen mit hinein in ihren Serotoninrausch.
Marie Senger
16. Spirit of the Beehive - Entertainment Death
Spirit of the Beehive schaffen den perfekten Soundtrack für späte Stunden in den eigenen vier Wänden und rufen mit psychedelischen Klängen auf zu einer Reise ins Innere. ENTERTAINMENT, DEATH gibt den Hörenden dabei großen Raum für Assoziationen durch ein perfektes Gefühl von Zeitlosigkeit. Das Album wirkt gleichermaßen retro und aktuell. ENTERTAINMENT, DEATH wurde auf Band eingespielt und atmet so – ebenso wie die Musikvideos – die LoFi-Ästhetik der Ära von Walkman und Röhrenbildschirm. Der molasseartig dicke Sound und die funkelnden Synthesizer erinnern aber auch an so manche Vaporwave-Playliste, wie sie nur im digitalen, postmodernen Zeitalter entstehen können. ENTERTAINMENT, DEATH hypnotisiert die Hörenden und umschmeichelt sie mit traumhaften Soundwolken, bis ein lauter oder chaotischer Abschnitt sie dann wieder unerwartet aus dem Wachtraum herausreißt. Am Spiel mit den Erwartungen haben Spirit of the Beehive hörbar große Freude.
Martin Pfingstl
15. Japanese Breakfast - Jubilee
Im Grenzbereich zwischen Heiterkeit und Melancholie bewegt sich die US-Band um Frontfrau Michelle Zauner (übrigens aus Korea, nicht aus Japan stammend) schon seit Jahren. Auch Jubilee fühlt sich oft an, als würde Zauner lustvoll in Erinnerungen schwelgen an einen schmerzlich vermissten Menschen – musikalischer Leichenschmaus. Doch anders als bei den Vorgängeralben behält diesmal Heiterkeit die Oberhand: Sprudelnde Bläser und Synthies mäandern quer durchs stilistische Repertoire. So gelingt es Japanese Breakfast, einen weiteren Grenzbereich zu navigieren: Retro und doch auf der Höhe der Zeit.
Justin Andreae
14. Amyl and the Sniffers - Comfort to me
Auf ihrem zweiten Studioalbum „Comfort to Me“ lassen die Band Amyl and the Sniffers rund um Frontfrau Amy Taylor so richtig Dampf ab und verpacken ihren Ärger über sexistische Macker, das Patriarchat und Kapitalismus in punkige, 70s RocknRoll und Hardcore Sounds. Mit einer Albumlänge von nur 30 Minuten und der fast übersprudelten Energie ist „Comfort to Me“ ein typisches, aber sehr gelungenes Punk Album und macht unglaubliche Lust sich direkt in einen verschwitzten Moshpit zu stürzen.
Wiebke Stark
13. La Femme - Paradigme
Fünf Jahre musste man auf eine neue Ladung des psychedelischen Indie-Electronic von La Femme warten. Die französische Band ließ sich Zeit, liefert dafür aber auch eine der Platten des Jahres. „Paradigmes“ führt gewohnt lässig durch viele tanzbare Nummern, ohne dass der Einfluss französischer Chansons zu kurz käme. Überhaupt scheint es den Musiker:innen nicht an Einflüssen zu fehlen. Gewappnet mit Gitarren, Synthesizer und Drummachine bewegen sie sich zwischen amerikanischer Popkultur und französischer Philosophie, zwischen Ennio Morricone und Kraftwerk. Gleichzeitig wohnt „Paradigmes“ eine gehörige Portion Mystik bei, die Band singt mit spooky Soundästhetik von Vampiren und Blut. Dass La Femme unterschiedliche Welten in einem eigenen, unver-gleichlichen Sound vereinen können, zeigen sie mit ihrem dritten Studioalbum erneut.
Anton Burmester/Nelly Brändle
12. Marteria - 5. Dimension
Nach dem etwas missglückten Album "1982" mit Casper konnte man sich stirnrunzelnd fragen, ob in der langjährigen Zusammenarbeit von Marteria und The Krauts (alias David Conen, Vincent von Schlippenbach und Dirk Berger) vielleicht die Luft raus ist. Für die "5. Dimension" hat Marteria dem renommierten Produzenten-Dreiergespann ("Stadtaffe") aber wieder mal sein Vertrauen geschenkt und... es hat sich gelohnt! Diesmal wurden sie in der Produktion allerdings noch intensiv von DJ Koze und Siriusmo unterstützt, die auch als Interpreten in den Vordergrund treten. In zwölf auf ganz unterschiedliche Tracks fangen sie eine von Marterias größten Lüsten und eines seiner größten Laster ein: die exzessive Feierkultur. Passend zum Thema ist es auch das wohl am deutlichsten elektronisch beeinflusste Album von Marteria. Mal sind es entspannte Housebeats, mal brettharte Basslines. Dazwischen eine brilliante Momentaufnahme der ersten Westerfahrung des noch in der DDR frühsozialisierten kleinen Marten und ein liebevoll abgefuckter Voicemail-Cameo-Auftritt seines Angelbuddies Stephan "Hacki" Hackbarth. Mit "6:30(Good Night)" beschließt Marteria sein Album denkbar passend und liefert den wohl besten Soundtrack zu verballerten Morgenstunden, der je geschrieben wurde.
Maximilian Enderling
11. Girl in Red - If I Could Make It Go Quiet
Ob Depressionen, Angststörungen oder Eifersucht - Girl in Red hat keine Angst vor vermeintlichen Tabuthemen und negativ konnotierten Gefühlen. In ihrem Debütalbum if i could make it go quiet zieht Girl in Red ihre Hörer*innen mit elektronischen Beats, verträumten Synthesizern und direkten Lyrics in ihren Bann. Dabei bedient jeder einzelne Song gleich mehrere Emotionen und kombiniert Gefühle wie Herzschmerz, Selbstzweifel, Wut, Angst und Sehnsucht. In if i could make it go quiet versucht Girl In Red nichts zu beschönigen oder zu verstecken. Dadurch wirkt das Album nahbar, ehrlich und authentisch.
Chiara Santangelo
10. Chynna - Drug Opera
Auf ihrem Debut-Album „Drug Opera“ zeigt sich Chynna verletzlich und behandelt Themen wie Depression, Drogensucht und die eigene Sterblichkeit. Mit dem Hintergrund, dass die New Yorker Rapperin bereits verstorben ist, verdüstert sich der Grundtenor der Songs noch einmal erheblich.
9. Magdalena Bay - Mercurial World
Magdalena Bay bedienen sich der Ästhetik der 2000er, aber greifen auf ihrem Konzeptalbum „Mercurial World“ verschiedenste musikalische Einflüsse auf. Dabei entsteht ein Gesamtwerk, dass trotzdem so homogen ist, dass es schwer wird, zu bestimmen, wann ein Song endet und der nächste beginnt.
8. St. Vincent - Daddy´s Home
St. Vincent ist die Meisterin der Brüche. Das beweist sie auch 2021 auf „Daddys Home“. Nicht nur das Albumcover beschwört die Geister der Vergangenheit herauf: Hammond-Orgel und Wah-Wah-Pedale klingen unverkennbar 70s und doch verstörend anders. St. Vincent schafft auch auf ihrem siebten Studioalbum Abgründe, die schnell süchtig machen können.
7. Injury Reserve - By the Time I Get to Pheonix
„By the Time I Get to Pheonix“ stellt die Musik des, sonst so Genre-sprengenden, Trios „Injury Reserve“ in den Hintergrund. Das Album dient ihnen gewissermaßen zur Trauerarbeit und ist gänzlich ihrem 2020 verstorbenen dritten Mitglied gewidmet. Die elf Songs sind roh, chaotisch und lassen keinen Zweifel daran, dass Trauer nicht nur leise und melancholisch ist. Und vielleicht haben sie nebenbei ein kleines Kunstwerk erschaffen.
6. Viagra Boys - Welfare Jazz
Auch wenn die Viagra Boys auf ihrem Debut noch völlig mit ihrer rotzigen Art beschäftigt waren, beschäftigen sie sich auf „Welfare Jazz“ mit gesellschaftlich relevanten Themen – natürlich auf ihre satirische Weise. Dabei bleiben sie ihrem Klangbild treu, aber erweitern ihr Punk-Repertoire um Ausflüge in Western- und Country-Sound.
5. Dean Blunt - Black Metal 2
Mit „Black Metal 2“ bekommt Dean Blunts Klassiker von 2014 endlich einen Nachfolger. Darauf kreiert er mit vergleichsweise einfachen musikalischen Mitteln einen tiefgehenden Sound, der gerade mit seiner Schörkellosigkeit top aktuell ist und ein nach innen gekehrtes Gefühl abbildet, das die Pandemie bereits vielen abverlangt hat.
4. Disarstar - Deutscher Oktober
Das Album “Deutscher Oktober” von Disarstar punktet vor allem mit einer schonungslosen Ehrlichkeit. Disarstar kritisiert hier FDPler, Bonzen in Sommerhäusern und die Rapszene kommt nicht unverschont davon. Durch den modernen Trapsound wirkt das Album allerdings sehr aktuell und verzichtet auf den belehrenden Polit-Rap Charakter. Die Platte ist auf jeden Fall für jeden was, der auf politischen Deutschrap, ohne den erhobenen Zeigefinger steht.
3. International Music - Ententraum
Das Essener Trio International Music hat mit ihrem zweiten Studioalbum „Ententraum“ einen perfekten Spagat zwischen Quatsch und Melancholie geschaffen. Der Sound der Platte oszilliert irgendwo zwischen Psych-, Kraut-, Garagerock und Rock’n’Roll und wird durch Gesangsharmonien zu einem gelungenen Ganzen. Auch wenn die Lyrics dabei einige Fragezeichen hinterlassen, schaffen es die drei Bandmitglieder durch ihr sprachliches Feingefühl, der Platte eine Emotionalität zu verleihen, die einen so schnell nicht mehr loslässt. Der „Ententraum“ ist ein (Anti-)Konzeptalbum, was neben überzeugten Punk-Fans auch überzeugte Träumer:innen abholen dürfte.
2. Black Country, New Road - For the first time
Mit „For the first time“ veröffentlichen Black County, New Road ein Debut-Album, bei dem es schwer zu glauben ist, dass sie zum ersten Mal ein Album veröffentlichen. Die Musik der siebenköpfigen Band, die auch mit Geige und Saxofon daherkommt, bewegt sich irgendwo zwischen Post-Punk und Jazz; und ist so durchdacht, wie man es nur selten hört. Mit einer Mischung aus persönlichen Erzählungen und überladenen Popkultur-Referenzen schafft die britische Band ein Album, das kaum zeitgenössischer sein könnte.
1. Little Simz - Sometimes I Might be Introvert
Schon der Opener zu „Sometimes I Might Be Introvert“ ist geradezu ein musikalisches Epos. Mit Trompeten und Fanfaren leitet Little Simz ihr viertes Album ein, auf dem die britische Rapperin einen ganz neuen Ton anschlägt. Während sie auf ihrer erfolgreichen Platte „GREY Area“ (2019) noch eher auf Minimalismus gesetzt hat, ist „Sometimes I Might Be Introvert“ ein opulenter Genremix. Little Simz vermischt gekonnt Einflüsse diverser Genres wie Soul, Funk und Afrobeat, bleibt dabei aber weitestgehend ihren Hip-Hop Wurzeln treu. Das Album beeindruckt aber nicht nur klanglich: Mit mühelosem Flow rappt Little Simz ihre bisher persönlichsten Lyrics. Dabei geht es um ihr inneres Gefühlsleben, Selbstermächtigung sowie komplexe familiäre Verhältnisse. Die Wucht der Texte und der gewaltigen Soundkulisse beweisen, dass Little Simz weit mehr ist als nur eine fantastische Rapperin und machen „Sometimes I Might Be Introvert“ zu einem unvergleichlichem Album.
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