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14. April 2014 - 0:37

23:12
CD der Woche

Chet Faker "Built On Glass"

Music for making sweet and tender love. Von Experten geprüft und mit Erfolgsgarantie.

Die Frau deiner Träume sitzt auf deiner Couch. Strahlende Augen, süßes Lächeln. Jede Kurve an ihr stimmt, die Chemie ist vielversprechend. Das Date lief bisher ganz gut, doch jetzt sitzt ihr da und die Stille des Wohnzimmers drückt gegen das Trommelfell. Was tun? Klar: Musik. Aber was? Barry White? Willkommen in Klischeehausen – zu offensichtlich! Wie wäre es mit Chet Faker? „Built On Glass“, das hat Soul ist aber nicht zu vordergründig, sodass es die Stimmung ruiniert.

Na also. Es klappt! Ihr kommt euch näher. Der Opener „Release your Problems“ lässt Spielraum für Interpretationen. Die bluesige Synth-Orgel gibt dem Raum eine warme Farbe. Die Gespräche werden zweideutig. „Talk Is Cheap“: die Singleauskopplung beginnt mit im Hall versinkendem UB40-Saxophon. Wieder wetteifert die Orgel mit Chet Fakers Stimme, wer rauchiger klingt. Dieses Mal gewinnt die Orgel, denn irgendwie war Chet Fakers Stimme zu „No Diggity“-Zeiten charmant-kratziger. Aber das spielt jetzt auch keine Rolle, denn gerade berührt deine Hand zum ersten Mal ihre zarte Haut. Du schmilzt dahin: „Melt“. Wenn die Musik noch gediegener wird, bleibt sie stehen. Die flötenartigen Klänge spiegeln das auf der Richterskala messbare Kribbeln in deinem Bauch wieder. Und dann singt sie sogar leise mit.

 

https://soundcloud.com/chet-faker/melt-feat-kilo-kish

Ein paar Songs vergehen. Du horchst auf, denn die A-Seite der Schallplatte ist zu Ende und die leere Rille knistert noch vor sich hin. Aber Moment mal: eigentlich hast du doch deinen MP3-Player an die Anlage angeschlossen! Eine Stimme sagt dir: „That was the other side of the record. Now relax still more and drift a little deeper as you listen“. Kein Problem. Das Intermezzo namens „/“ ist nur kurz und nach der Zäsur geht die Sonne unter und die Musik klingt nach Nacht. Die Stimme ist plötzlich verzerrt, der Bass wobbelt. Eine Prise Londoner Elektronik gibt der Platte neuen Schwung. Chet Faker ist großer Fan von James Blake und Mount Kimbie. Und hat er nicht Burials „Archangel“ gecovert? „I kiss you blush“ singt Chet und du tust, was er ausspricht. „1998“ lässt Chets Liebe zur Housemusik durchschimmern. Die Nacht erreicht ihren Klimax mit diesem Song und selbst der ist entschleunigt.

Die Zeit verfliegt und die Sonne geht rasch wieder auf. Wie kurz doch manche Nacht sein kann. Die Frau ist bald weg oder schläft. Dir bleibt nur „Cigarettes & Loneliness“ (eine Reminiszens an „Cigarettes & Chocolate“ von der Debut-EP??). Nach Londons reicher Breakbeat-Historie klingen auch die gebrochen Beats des Songs. Sonnig klimpern die Gitarren im Licht des Morgens. Du wanderst verzückt und berauscht durch die Straßen und steckst noch irgendwie im Limbus zwischen den Zeiten fest.

Chet Faker Foto: Lisa Frieling Photography

Foto: Lisa Frieling Photography

Chet Faker

Die nächsten Tage sind eine „Lesson in Patience“. Ein wirrer Jammerchor aus Faker-Geistern klingt genau so verworren, wie du dich fühlst. Doch allmählich finden sich die Stimmen zu Harmonien zusammen und schreiten zuversichtlich voran. Sie treffen den alten Freund - die Orgel - wieder. Davon können sie einfach nicht genug bekommen. Muss man wirklich drei Tage warten?

Das Ende der Platte „Dead Body“ soll nicht das deine sein. Also Herr Faker! Warum so drastisch? Das Album ist doch ganz großartig. Der einzige Makel daran ist, dass Sie die Latte vorher meilenweit zu hoch angesetzt haben: Lieder, die das Prädikat „das beste, was ich je gehört habe und je hören werde, alles andere ist akustischer Kompost“ verdient haben, sind schwer zu toppen. So machen es die „Thinking In Textures“-EP von 2012 oder die „Lockjaw“-EP in Kollaboration mit Überproduzent und Landsmann Flume von 2013 dem Nachfolger schwer. Daher fühlt sich „Built On Glass“ auch nicht wie ein Debut an. Gut und unfassbar sinnlich ist es trotzdem.

Fazit

Please try this at home. Und wenn die Herzdame darauf nicht anspringt, dann ist sie taub. Von weiteren Dates wird abgeraten. Dann bleibt nur noch Nicholas Murphy (Chets bürgerlicher Name) und seinem sympathischen australischen Dialekt zu lauschen, zum Beispiel im Interview mit mephisto97.6.

Chet Faker

Chet Faker (r.) mit Redakteur Felix Schmidt (l.) (Foto: F. Hausotte)

Chet Faker (r.) mit Redakteur Felix Schmidt (l.)
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Eine Viertelstunde im Gespräch: Chet Faker mit Redakteur Felix Schmidt
Chet Faker Interview (Felix Schmidt)
Built On Glass

1. Release Your Problems
2. Talk Is Cheap
3. No Advice (Airport Version)
4. Melt (feat. Kilo Kish)
5. Gold
6. To Me
7. /
8. Blush
9. 1998
10. Cigarettes & Loneliness
11. Lesson In Patience
12. Dead Body

Erscheinungsdatum

11.04.2014
Future Classic / [PIAS] Cooperative

Autor(en)

  • Felix Schmidt

Quell-URL (zuletzt geändert am 25.03.2015 - 14:39): https://radiomephisto.de/news/chet-faker-built-glass-24295