Ich würde es nicht “spielen“ nennen
Foto: Moritzbastei

“Nur keine falsche Bescheidenheit!“, möchte man ihm zurufen. Der neue Gewandhauskapellmeister Andris Nelsons hat gerade die Trompete abgesetzt und spricht mit Tahlia Petrosian, der Organisatorin des Abends. Bei “Klassik Underground“ treffen sich regelmäßig Gewandhausmusiker mit den Sternchen des Klassik-Betriebs, und das in lockerer Atmosphäre in den Kellern der Moritzbastei. Der Name “Underground“ ist also gleich doppelt Programm. Und Nelsons prägnanter Satz wird zum ironischen Un-Motto des Abends:
I really wouldn’t call it playing.
Andris Nelsons
Denn was er da abliefert, kann sich grundsätzlich hören lassen. Zugegeben, neben ihm steht mit Håkan Hardenberger ein Welt-Trompeter. Einer, der gerade ein extra für ihn komponiertes Trompeten-Konzert aufgeführt hat und diesen Herbst noch in London, Boston und New York gastiert. Und natürlich merkt man Nelsons diesen Unterschied an: Hier mal ein etwas schiefer Ton, da mal ein missglückter Lauf, dort ein nicht ganz zu Ende gespielter Bogen – vor allem im Eröffnungsstück, einem vielstimmigen Canzon von Samuel Scheidt. Trotzdem ist es erstaunlich, dass er sich als Dirigier-Profi die Blöße gibt und einfach mitspielt. Angeblich übt er auch hinter der Bühne immer mal wieder auf der Trompete.
Perfektionistisch wie immer
Die anwesenden Streicher des Gewandhauses und das Gewandhaus Brass Quintett machen einen exzellenten Job. Spielfreudig, motiviert und – so kennt man sie – wahnsinnig perfektionistisch. Auch Bratscherin Tahlia Petrosian wirkt so souverän wie eine eingekaufte Moderatorin. Das Programm, durch das sie führt, umfasst Stücke aus dem 16. und 17., aber hauptsächlich aus dem 20. Und 21. Jahrhundert. Ein Komponist, Wolf Martinsson, ist sogar anwesend. Sein „Airy Flight“ mit Jazz-Anklängen fügt sich problemlos in die nächtlich-kellerige Stimmung, genau wie Sofia Gubaidulinas „Lied ohne Worte“ oder Astor Piazzollas “Café 1930“.
Wo ist der "Underground"?
Aber trotz des schummrig beleuchteten Mauerwerks, der lockeren Moderation und einer Dauer von nur etwas mehr als einer Stunde: Untergrund-Atmosphäre kommt nicht wirklich auf. Das Publikum könnte auch eins zu eins aus dem Gewandhaus kommen. Na gut, etwas jünger ist es vielleicht. Man sitzt ja schließlich nicht in bequemen Sesseln, sondern auf kühlen Steinstufen oder hinter gemauerten Ecken und reckt den Hals zur Bühne, es sei denn man hat ein gelbes VIP-Band am Handgelenk.
Fazit: Die Reihe “Klassik Underground“ ist empfehlenswert, auch und gerade für alle, die mit dem Klassik-Betrieb nicht richtig warm werden – Untergrund hin oder her.
Hier findet ihr den Beitrag zum Nachhören:
Max Koterba
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