Monika Sohns
8. November 2020 - 19:15
© DOK Leipzig 2020 / Hotel Astoria
Leipzigerinnen und Leipzigern wird der Titel des Films bekannt vorkommen, denn das "Hotel Asotria" steht mitten in der Innenstadt. Von 1915 bis 1996 war das Hotel Astoria noch begehbar, heute umgibt ein Bauzaun das Gebäude. Zu seiner Glanzzeit zeichnete sich das Astoria durch luxuriöses Essen, wie zum Beispiel Lachs oder Hummer aus. Aus diesem Grund war es in Zeiten der DDR der “Hotspot Leipzigs”, denn dort wurden Speisen angeboten, die sonst nirgends im Osten zu finden waren. Prominente gingen ein und aus, Alkohol wurde ausgeschenkt und das Hotel machte enorme Summen an Umsatz. Nicht nur für Besucher*innen, auch für Mitarbeiter*innen waren die abendlichen Shows und Geschehnisse ein wunderbares Erlebnis.
"Hotel Astoria" begleitet die ambivalente Historie des Gebäudes bis zum Fall der Mauer. Die Demonstrationen zur friedlichen Revolution waren von den Zimmern aus sichtbar. Im Film werden auch die Schattenseiten des Hotelbetriebs aufgezeigt: Die Stasi setzte Prostituierte mittels Meldescheinen unter Druck und es wurden zusätzliche Löhne für diejenigen ausgezahlt, die Informationen über Besucher*innen zur Verfügung stellten. Auf diesen weniger bekannten Teil der Geschichte des Hotels geht der Kurzfilm von Alina Cyranek und Falk Schuster auf eine ganz besondere Art und Weise ein.
Das Filmschaffenden-Duo bedient sich Originalaufnahmen und Animation. Kompakt, in knapp 28 Minuten, wird die Geschichte des Hotels aufgearbeitet. Jedoch wird sie nicht etwa von den Filmemacher*innen erzählt, nein, Personen, die das Hotel vor 1996 miterlebten, kommen selbst zu Wort. Völlig unkommentiert und ohne Wertung, werden die Tonspuren stimmig aneinandergereiht und Kellner*innen, Sekretär*innen, sowie viele weitere Zeitzeug*innen teilen ihre persönlichen Erfahrungen mit dem Hotel. Diese außergewöhnliche Erzählweise, vermittelt das Gefühl, die Geschehnisse tatsächlich mitzuerleben und nicht subjektiv von einer Person, die die Informationen zwar gesammelt, aber nicht miterlebt hat, erzählt zu bekommen.
Ein Oberkellner berichtet zum Beispiel davon, dass bei den abendlichen Veranstaltungen keine Frauen miteinander tanzen durften. Und wenn sie es doch taten, hätten die Musiker*innen aufgehört zu spielen. Obwohl das Hotel Astoria noch immer präsent im Stadtbild von Leipzig ist, kann diese unmittelbare Nähe nicht darüber hinwegtäuschen, wie fern ebensolche Vorfälle doch sind. Denn so ein Szenario scheint heutzutage undenkbar.
Die begleitende Animation besteht aus beinahe kryptischen Skizzen, die sich zeitnah in deutliche Bilder umwandeln und die Geschichte auch visuell ansprechend gestalten. Aufmerksamkeit wird gefordert, denn durch die verzögerte Deutlichkeit, ist nicht sofort klar, was dargestellt wird. Zudem gibt es teilweise zeitgleich mehrere Animationen in einem Bild, die auf unterschiedliche Dinge Bezug nehmen. So werden beispielsweise zwei Originalaufnahmen der Küche simultan mit animierten Köchen gezeigt.
Dieser Stil mag zunächst beschwerlich wirken, doch ist er eher eine Herausforderung, die den Film einzigartig und gefällig macht. Er hilft den Filmschaffenden, in kurzer Zeit alle wichtigen Informationen übermitteln zu können. Die regelmäßige Verwendung Filmmaterial aus der DDR verdeutlicht, dass das Gezeigte tatsächlich alles vor 30 Jahren, hier in Leipzig, passiert ist.
Auf eine individuelle Art und Weise erzählen Falk Schuster und Alina Cyranek die DDR-Geschichte eines Hotels, welches zwar physisch nah, doch inhaltlich weit entfernt ist. Das Zusammenspiel von Animation und Originalaufnahmen sorgt für ein einzigartiges Kurzfilm-Erlebnis. Nicht nur Leipziger*innen erfahren mehr über die vergangene Zeit der Stadt in der sie leben, auch für alle anderen bietet die Dokumentation ein aufschlussreiches Filmerlebnis über das einst modernste Hotel Deutschlands. Definitiv ist “Hotel Astoria” kein Film zum nebenbei gucken, aber dafür ideal für einen fesselnden Doku-Abend.
Monika Sohns
8. November 2020 - 19:15
Anne-Sophie Tänzer
8. November 2020 - 19:40
Vielen Dank für deine Einschätzung!
Die mephisto 97.6 - Redaktion
Renate Föhr
9. November 2020 - 20:12
Umfassend und interessant geschrieben, so dass man neugierig wird, sich die Dokumentation anzusehen!
Clara Richter
11. November 2020 - 18:18
Großartiger Kommentar.
Großartiger Kommentar. Interessant und aufschlussreich. Er vermittelt mir bislang nicht bekannte Einblicke in Zeitgeschichte.