Udo Rathfelder
9. April 2019 - 0:55
Foto: pixabay
In Deutschland gibt es ein eng gewebtes sozialstaatliches Netz mit vielen Absicherungen. 2017 gab der Bund über 960 Milliarden Euro für Sozialleistungen aus. Manche sehen allerdings starke Versorgungslücken im System und finden, der Sozialstaat reicht mit seinen Leistungen nicht aus. Ein alternatives Konzept wäre ein bedingungsloses Grundeinkommen: Jede Bürgerin und jeder Bürger und auch jedes Kind erhält jeden Monat denselben Betrag, beispielsweise 1.000 Euro. Individuelle Sozialleistungen, wie es sie aktuell gibt, würden schrittweise abgebaut werden.
Ich denke, natürlich entspricht das der Logik, dass wenn wir ein Grundeinkommen haben, dass dann für Kinder, nicht erst ab 18, ausbezahlt wird, dass dann so was wie Kindergeld wegfallen kann. Andere Sozialleistungen können auch wegfallen.
Jens-Eberhard Jahn, Mitglied der ökologischen Partei Deutschland und der bundesweiten Initiative Grundeinkommen
Die möglichen positiven Folgen eines Grundeinkommens sind spekulativ, aber vielfältig: Vor allem alleinerziehende Frauen würden mit einem Grundeinkommen entlastet. Sie gehören zu einer häufig von Armut bedrohten Gruppe der Bevölkerung. Mehr Freiheiten in der Jobauswahl und anderen lebenswichtigen Entscheidungen könnten ebenso positive Folgen sein.
Menschen können sich frei entscheiden, welche Tätigkeit sie ausüben, sie können sich frei für oder gegen Kinder entscheiden und es ist kein Geldargument mehr, so wie es das heute ist.
Daniel Weißbrodt, Mitglied der Leipziger Initiative Grundeinkommen
Als „Leipziger für Grundeinkommen“ tritt die Initiative sogar zur Stadtratswahl an.
Auch, wenn ein Grundeinkommen für mehr Gerechtigkeit sorgen soll, könnte es in die gegensätzliche Richtung umschlagen: Wenn alle Menschen den gleichen Betrag erhalten, geht der Staat nicht mehr auf individuelle Bedürfnisse ein. Arme erhalten genau so viel Geld wie Reiche, die schon genug verdienen und besitzen. Auch an die Mietpreise einer Stadt würde der Betrag nicht angepasst werden. Dadurch würden einige Menschen schlechtergestellt werden, als sie es jetzt sind.
Weil ein Hartz IV Bezieher zum Beispiel in München mehr als die 1.000 Euro hat, die beim Grundeinkommen meistens genannt werden.
Grundeinkommenskritiker und Armutsforscher Christoph Butterwegge
Möglicherweise kann das Sozialstaatskonzept durch den Vorteil der individuellen Leistungen doch mehr Gerechtigkeit bringen.
Das scheint mir der richtigere Weg zu sein, auch, wenn ich den bestehenden Sozialstaat nicht idealisiere.
Grundeinkommenskritiker und Armutsforscher Christoph Butterwegge
Obwohl der Sozialstaat Deutschland schon viel für eine finanzielle Umverteilung unternimmt, gibt es durchaus noch Entwicklungspotenzial. Die Frage nach einem Grundeinkommen hat hierbei eine wichtige Rolle: Sie macht bestehende Ungleichheiten und die Forderung nach mehr Gerechtigkeit sichtbar.
Udo Rathfelder
9. April 2019 - 0:55
Enya Unkart
11. April 2019 - 14:13
Hallo Udo,
Dankeschön für Deine Kritik. Das Konzept eines Grundeinkommens wird von verschiedenen befürwortenden, sowie kritischen Stimmen verschieden ausgelegt - die Gestaltung ist daher nicht sicher. Es gibt zum Beispiel Personen, die die Idee eines individualisierten Grundeinkommens, wie du es beschrieben hast, vertreten. Ich denke wiederum, es entspricht der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens, dass es eben bedingungslos, sprich für alle gleich, ist.
Individualisierte Leistungen, wie zum Beispiel Wohngeldzuschüsse, entsprechen meines Erachtens eher dem Konzept des Sozialstaats als dem eines Grundeinkommens. Das ist aber, wie gesagt, je nach Auslegung des Konzeptes, unterschiedlich.
Ich würde Dir zustimmen, dass ein Grundeinkommen keineswegs zu Faulheit führt. Meines Erachtens ist das ein überholtes Argument. Auch ich sehe in Sachen Freiheit und persönlicher Entfaltung viele Vorteile des Konzepts. Probleme sehe ich nur, wie in dem Beitrag zu hören war, dass indivuelle Leistungen zu kurz kommen könnten.
Liebe Grüße, Enya Unkart
Ich bedaure, aber: WO steht
Ich bedaure, aber: WO steht geschrieben, dass
- alle den gleichen Betrag bekommen müssen,
- die unterschiedlichen Mietpreise nicht berücksichtigt werden und vor allem
- individuelle Sozialleistungen (wie z.B. die selbst verdiente Altersrente?) dann komplett entfielen?
Eben: Nirgends. Weil das so nicht stimmt.
Ein BGE sollte natürlich einen gewissen MINDESTbetrag haben, unabhängig, ob das 1000, 1250 oder 1500€ sind. Aber nach oben ist es individuell bedarfsmäßig ja nicht gedeckelt - wieso auch? Es ist doch klar, dass man in München andere Mietkosten hat als in Hoyerswerda. Das muss individualisierbar sein, eben so wie krankheits-/behinderungsbedingte Mehrbedarfe. Andererseits wäre eine altersabhängige Abstufung durchaus sinnig: eine Alleinerziehende mit 2 Kindern hätte nach der Pauschalmethode plötzlich 3000€ plus Mietkostenzuschuss (z.B. 600€) = 3600€ monatlich netto zur Verfügung. Ich denke, das sprengt den Rahmen (und vor allem den BGE-Ansatz) absolut - eine Stufenlösung bis 7, bis 14 und über 14 Jahre würde hier gut reichen.
Meines Erachtens hat das BGE noch viel mehr Facetten als die überall häufig propagierten Faktoren "money for nothing" und "Arbeiten, was man will" - das ist ein sehr verengter Blickwinkel auf all das, was BGE real bewirken wird. Aber eines wird BGE ganz sicher nicht: die Faulheit fördern. Eher die Freiheit, die wir doch als höchstes Gut betrachten... und offenbar tun sich Politik & Wirtschaft genau DAMIT schwer.