Ein Beerdigungs-Party Album
Foto: Renata Raksha

Between Madness and Happiness
Den Namen für ihr Soloprojekt „St. Vincent“ hat sich Annie Clark wohl mit einem Lächeln auf den Lippen ausgedacht: Denn St. Vincent leitet sie nicht vom unabhängigen Inselstaat in der Karibik ab, sondern nimmt damit Bezug auf das St. Vincent Krankenhaus in Manhattan. Dort starb 1953 Dylan Thomas, ein aus Wales stammender Poet. Auch Clarks Musik sei solch ein Ort, an dem die Poesie endet. Und unter einer Decke von Popmelodien und Elektrobässen versteckt sie ihre ganz eigene Lyrik.
Mit der Musik begann Annie Clark schon als Kind; damals als zwölfjähriges Mädchen mit Gitarre in der einen und Organisationstalent in der anderen Hand. Ihre Jugendzeit verbrachte sie damit, Tourmanagerin für die Band ihres Onkels „Tuck & Patti“ zu spielen. Nebenbei probierte sie sich bereits selbst als Musikerin und Schauspielerin aus. Clark studierte drei Jahre am Berklee Collage of Music in Boston und brach dann das Studium ab. Rückblickend meint sie, dass sie dort zwar gute Grundlagen erworben hat, man das aber alles vergessen müsse, wenn man ernsthaft selber Musiker sein und wirklich Musik machen wolle.
Und das tat sie dann auch: 2007 erschien ihr Debüt „Marry me“. Im Vergleich zum heutigen Sound wirkt das Werk fast etwas schüchtern, auch wenn es die Dame dahinter nicht zu sein scheint. Die Texte zu dem Debüt hat sie fast alle mit 18 oder 19 Jahren geschrieben. Ständig in der Schere zwischen Traurigkeit und dem Glücklichsein machte sie sich einen Namen als St. Vincent. Auch knapp sieben Jahre später ist das nicht anders.
Geschichte um Geschichte
St. Vincent findet Inspiration in den schrägsten Geschichten und absurdesten Alltagssituationen: Hat sie auf früheren Alben noch Möbel besungen, erzählt sie nun in ihrem Opener „Rattlesnake“ auf liebenswerte Weise, wie sie in der Wüste vor einer Schlange weggelaufen ist. Dezente Funk-Einflüsse, Drumcomputer und geschickt platzierte Synthis geben der Situation noch die richtige Würze. Doch nicht nur im ersten Track entblößt sie sich vor dem Hörer. Diese bestechende Ehrlichkeit überzeugt: "Oh what an ordinary day / Take out the garbage, masturbate" . So charakterisiert Clark den stereotypen Amerikaner mit brüchigen Gitarrenparts und knarzigen Basslines. „Birth in Reverse“ erreicht damit nicht nur, dass man den Fuß wippen lässt sondern regt auch zum Kopfnicken an, denn hinter dem poppigem Vorhang sitzt die Lyrik und grinst.
„Huey Newton“ hat seinen Namen von dem Mitbegründer der Black Panther Partei - eine Bürgerrechtsinitiative zum Schutz der afroamerikanischen Bevölkerung in den USA um 1966. Ironischerweise kam Annie Clark die Idee dazu während einer Halluzination, die sie high von Anti-Jet-Lag-Tabeletten hatte. So scheint hinter jedem Song eine andere Geschichte zu lauern, die noch fantastischer scheint als die vorherige.
Digital Witness ist nicht nur die zweite Singleauskopplung, sondern auch einer der stärksten Songs auf St. Vincent. Annie Clark bezeichnet den Hörer als Opernbesucher des digitalen Zeitalters.
"What's the point of even sleeping/ If I can't show it/ If you can see me".
Insgesamt handelt es sich oberflächlich um ein schönes Pop-Album. Hinter den Songs steckt aber noch sehr viel mehr: Clark kritisiert die Gesellschaft, spricht über Liebe und Hass aber auch von ihrer eigenen Mutter. Genau darin liegt der Reiz: Eingängige Beats mit Inhalt füllen!
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