Die lesbare Stadt
Foto: Peggy Strauchmann

Unaufhaltsam kommt die Katastrophe näher. Es ist ein heißer August und Ivo, ein Restaurantbesitzer Ende 50, kann seine Sehnsucht nach Mira, der Freundin seines Sohnes, kaum mehr unterdrücken. Sein Geschäft läuft auch nur mäßig und eigentlich fühlt er sich zu träge für alles. Seine Kinder Boris und Ana sprechen kaum noch mit ihm. Die beiden haben in Deutschland studiert und vertreten eine andere Weltanschauung als die ihrer Eltern. Dann hat Boris einen schweren Autounfall. Doch der ist die Chance, dass sich die Familienmitglieder wieder annähern können. Allerdings sind die Gräben tief, die Erwartungen ans Leben und die Welt sehr unterschiedlich. Vieles kommt anders als gedacht.
Das Buch und die Stadt sind für Mira längst eins, und wenn sie wie jetzt durch die alten Gassen wandert, weiß sie nicht genau, ob sie durch Torbögen geht oder seine Seiten umblättert.
aus: "Nach dem Sturm", S. 117
In diese gespannt-melancholische Atmosphäre einer Kleinstadt irgendwo in Osteuropa webt Nellja Veremej geschichtliche Erzählungen ein wie Mythen. Die Stadt Gradow erhält ihre eigene Legende, die Spuren ihrer Bewohner werden plastisch wie ziselierte Hausfassaden. Es geht um Heimat und Aufbruch, Schicksal und Lebensträume, die jede Generation und jeden Gradower anders prägen. Und sie prägen wiederum die Stadt, die fast ein eigener Protagonist ist.
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