Die Angst vor dem vermeintlich Banalen
Foto: Jutta Pohlmann

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In 72 literarischen Miniaturskizzen will Dirk von Lowtzow eine Enzyklopädie seines Lebens erschaffen. Alphabetisch geordnet, von A wie "Abba" bis Z wie "Zeit" nähert er sich je einem Begriff an, der für sein Leben eine Bedeutung hat. Die kürzesten dieser Skizzen bestehen nur aus wenigen Sätzen, die längsten erstrecken sich über fünf Seiten. Zwischen die eher prosaischen Texte gesellen sich Liedtexte, Skizzen und Fotos. Tocotronic Fans werden zudem ihre Freude an den zahlreichen Selbstzitaten haben.
Viele dieser Skizzen schaffen es, die Lesenden wirklich zu berühren. Oft gelingt das Dirk von Lowtzow mit seinem leicht tragisch eingefärbten Humor. Zugute kommt ihm auch sein unorthodoxer Umgang mit Sprache. "Aus dem Dachsbau" ist voller ungewöhnlicher Sprachbilder, die nur im ersten Moment holprig wirken.
Den Rollkoffer zog ich dabei über das Kopfsteinpflaster wie einen ungehorsamen Hund. Einige Male musste ich in einem der dunklen Hauseingänge verschwinden, um ungestört ein paar aufmunternde Worte an ihn zu richten. Bald seien wir am Ziel unserer Reise angekommen, es gebe also keinen Grund störrisch zu werden, so ich. Knurren.
Aus dem Dachsbau, S. 58
Eine andere Stärke des Buches ist seine Aufrichtigkeit. Offen und ehrlich berichtet der Autor vom Tod seines Jugendfreundes oder von seiner kompletten Erschöpfung nach Tourneen. Für die Erzählung wählt von Lowtzow hier eine Art lakonisches Understatement. Somit schafft er es die Lesenden auch an unangenehmen Erinnerungen teilhaben zu lassen, ohne distanzlos zu werden. Die Angst und die Unruhe des Autors vor dem Besuch einer Klinik lesen sich etwa so:
Ich umrundete die Altstadt wohl noch einige Male, rauchte mehrere Zigaretten auf einer Bank vor dem Springbrunnen im Park und krempelte die Hosenbeine so lange hoch, bis mir der Abstand zwischen Schuhen, Socken und Hosenbeinen ideal schien. Dann betrat ich die Kurklinik.
Aus dem Dachsbau S. 58f
Einen großen Teil des Buches nehmen Geschichten aus der Kindheit und Jugend des Autors ein. So begleiten die Lesenden Dirk von Lowtzow über die Jahre: Vom fantasievollen, aber ängstlichen Kind über die Jugend als rebellischer Punk bis hin zum rastlosen Zweifler, der er heute ist. "Aus dem Dachsbau" ist auch die Geschichte vom Werdegang eines ewigen Außenseiters. Bei aller Ernsthaftigkeit hält sich hier eine Balance zwischen Intimität und Selbstironie.
Bedauerlicherweise kann von Lowtzows literarisches Debüt dieses Potenzial nicht ausschöpfen. Das liegt in erster Linie an der Angst des Autors vor dem vermeintlich Banalen. Die persönlichen Erinnerungen allein wären fesselnd genug, um ein ganzes Buch zu füllen. "Aus dem Dachsbau" will aber mehr sein: Gedichtband, Beobachtung, Diskurs, vor allem aber: Kunst. Und genau diese Angst sich festzulegen, erweist sich letztlich als die große Schwäche des Buches.
Immer wieder zwingt es Dirk von Lowtzow sprachlich und thematisch geradezu in außerweltliche Gefilde. Der Sänger will von realen Erlebnissen erzählen und kann sich doch nicht lösen vom sphärischen Charakter seiner Texte:
Ich nehme einen Schluck aus der Flasche und presse meine Wange an die kalte Glasscheibe. Durch die Prismen der Regentropfen betrachte ich die Landschaft. Die Stoppelfelder werden zu kinematischen Bildern, die permanente Beschleunigung wirbelt mich in die Vergangenheit.
Aus dem Dachsbau S. 38
Über die gesamten 180 Seiten wirkt das Debüt somit vor allem unorganisch und zusammengewürfelt. Auch die Motivation für das Buch wird nicht klar. Was will "Aus dem Dachsbau" sein? Persönliche Erinnerung? Gedichtsammlung? Skizzenbuch? Alleinstehend hätten all diese Formen wohl ihre Berechtigung. Mit dem unentschlossenen Zwischending, das "Aus dem Dachsbau" letztlich geworden ist, werden die Lesenden hingegen kaum glücklich.
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